... oder: Was einer Autorin so einfällt, wenn sie nachts nicht schlafen kann. Alles ist natürlich frei erfunden, erstunken und erlogen.
Ella und der Schnarch
Ella liegt nicht mehr allein neben Heinrich im Ehebett. Vor
ein paar Monaten ist noch jemand Drittes eingezogen: Der Schnarch. Dieser
unangenehme Zeitgenosse vereinnahmt seither Nacht für Nacht die Atemorgane
ihres Gatten. Nicht nur im Bett. Nein, auch auf dem Sofa oder Sessel. Sobald
sich Heinrichs Lider geschlossen haben, kommt der Schnarch.
Zuerst nur zaghaft, im Wechsel mit normalen Atemgeräuschen.
Und im Wechsel mit den jetzt noch flatterhaften Augenlidern. Wenn Ella ihren
Mann so beobachtet, bekommt sie den Eindruck, dass da zwei Seelen miteinander
kämpfen. Doch Abend für Abend gewinnt eindeutig der Schnarch, dieser alte
Mistkerl.
Auf die anfänglich noch beinahe angenehmen Attacken, die
fast sanft im Raum schweben, folgen erste Sägeversuche. Es dauert, bis die Säge
richtig anspringt und gleichmäßig durchs Unterholz gleitet.
Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Ellas
liebevolle Blicke düster werden. Was im Fernseher gesprochen wird, ist schon
lange nicht mehr zu verstehen. Den Dezibelkampf hat die Flimmerkiste verloren,
auch wenn sie stur immer weiter Bilder in den Raum jagt und die neuen
Hintergrundgeräusche klaglos hinnimmt.
Nicht so Ella. Ihr Puls ist nun sehr lebendig, da können
Spitzensportler nur neidisch abwinken. Gleich, gleich wird es passieren.
Und da: Der Höhepunkt des ersten Schnarchkonzerts gipfelt im
Klang eines russischen Panzers, der gerade eine Schneise durch die Taiga zu
schlagen gedenkt.
Das Schöne daran ist, dass Heinrich hier stets für wenige
Sekunden die Augen öffnet und überrascht um sich schaut. Doch schon ein Blick
zu Ella genügt, um die Lider wieder zufallen zu lassen und die zweite Runde
einzuläuten.
Dies ist der Moment, in dem Ella tief – sehr tief – einatmet
und ins Schlafzimmer flieht. Abend für Abend hofft sie, dass ihre
Tiefschlafphase beginnt, ehe ihr Gatte sich neben ihr weiter mit seinem
Nasen-Harvester durch den Forst pflügt. Meistens gelingt ihr dieses
Unterfangen, doch manchmal ereilt sie ihr Schlaf nicht schnell genug.
Im Bett ist kein Sicherheitsabstand mehr zwischen ihnen –
ein Abstand, den Heinrich vielleicht irgendwann einmal dringend nötig haben
würde.
Im Bett gibt es keine Schnarchgrenzen mehr; Heinrich lässt
seiner Kreativität freien Lauf. Von wegen, geschnarcht wird nur in Rückenlage!
Letztens ist Ella aufgeschreckt, weil sie dachte, der Staubsauger hätte sich am
Kissen festgesaugt!
Zweifellos die häufigsten Variationen sind jedoch diese:
Variation Rückenlage: Typ Motorsäge mit kaputtem Anlasser;
das Finale beschert das Geräusch einer umkrachenden Fichte – jedoch nie auf
Heinrich persönlich.
Möglichkeiten, das Schnarchen zu unterbinden: Keine.
Versuche: Hunderte.
Dazu gehören:
Den Arm aus Versehen hinüberfallen lassen auf den Gatten.
Sowas kann passieren, ist aber einfach zu ungenau.
Wäscheklammer auf die Nase setzen. Totaler Blödsinn; der
Schnarch sitzt im Rachen und kämpft so stark dagegen an, dass die Klammer im
hohen Bogen von der Nase fliegt und den Dackel, der am Fußende des Bettes
liegt, erschlägt.
Aus dem Bett schubsen. Geht nicht, Heinrichs Körper liegt
wie festgetackert in seiner Betthälfte und springt bei jeglichen Roll- und
Schubsversuchen schwungvoll wieder zurück in die Ausgangslage.
Ins Gästezimmer umziehen. Da nun im Schnarchgemach mehr
leerer Raum zur Verfügung steht, vervielfacht sich das Dröhnen so stark, dass
Ella das Gefühl hat, in einer riesigen, leeren Kirche zu stehen, in der der
Organist gerade sein Instrument stimmt. Die Vibrationen des Echos schlagen
Wellen bis ins Gästebett.
Gegenstörgeräusche entwickeln: Hat letztens Feuerwehr und
SEK auf den Plan gerufen, während Heinrich seelenruhig weiterschnarchte.
Inzwischen ist Ella so übermüdet, dass sie Abend für Abend
auf einen komatösen Schlaf hofft. Bis sie zu träumen beginnt. Von Heinrich, der
sich eine Motorsäge gekauft hat.
(c) Marlene Liebschenk