Montag, 22. Februar 2021

Schlaflose Nächte


 ... oder: Was einer Autorin so einfällt, wenn sie nachts nicht schlafen kann. Alles ist natürlich frei erfunden, erstunken und erlogen.

 

Ella und der Schnarch

Ella liegt nicht mehr allein neben Heinrich im Ehebett. Vor ein paar Monaten ist noch jemand Drittes eingezogen: Der Schnarch. Dieser unangenehme Zeitgenosse vereinnahmt seither Nacht für Nacht die Atemorgane ihres Gatten. Nicht nur im Bett. Nein, auch auf dem Sofa oder Sessel. Sobald sich Heinrichs Lider geschlossen haben, kommt der Schnarch.

Zuerst nur zaghaft, im Wechsel mit normalen Atemgeräuschen. Und im Wechsel mit den jetzt noch flatterhaften Augenlidern. Wenn Ella ihren Mann so beobachtet, bekommt sie den Eindruck, dass da zwei Seelen miteinander kämpfen. Doch Abend für Abend gewinnt eindeutig der Schnarch, dieser alte Mistkerl.

Auf die anfänglich noch beinahe angenehmen Attacken, die fast sanft im Raum schweben, folgen erste Sägeversuche. Es dauert, bis die Säge richtig anspringt und gleichmäßig durchs Unterholz gleitet.

Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Ellas liebevolle Blicke düster werden. Was im Fernseher gesprochen wird, ist schon lange nicht mehr zu verstehen. Den Dezibelkampf hat die Flimmerkiste verloren, auch wenn sie stur immer weiter Bilder in den Raum jagt und die neuen Hintergrundgeräusche klaglos hinnimmt.

Nicht so Ella. Ihr Puls ist nun sehr lebendig, da können Spitzensportler nur neidisch abwinken. Gleich, gleich wird es passieren.

Und da: Der Höhepunkt des ersten Schnarchkonzerts gipfelt im Klang eines russischen Panzers, der gerade eine Schneise durch die Taiga zu schlagen gedenkt.

Das Schöne daran ist, dass Heinrich hier stets für wenige Sekunden die Augen öffnet und überrascht um sich schaut. Doch schon ein Blick zu Ella genügt, um die Lider wieder zufallen zu lassen und die zweite Runde einzuläuten.

Dies ist der Moment, in dem Ella tief – sehr tief – einatmet und ins Schlafzimmer flieht. Abend für Abend hofft sie, dass ihre Tiefschlafphase beginnt, ehe ihr Gatte sich neben ihr weiter mit seinem Nasen-Harvester durch den Forst pflügt. Meistens gelingt ihr dieses Unterfangen, doch manchmal ereilt sie ihr Schlaf nicht schnell genug.

Im Bett ist kein Sicherheitsabstand mehr zwischen ihnen – ein Abstand, den Heinrich vielleicht irgendwann einmal dringend nötig haben würde.

Im Bett gibt es keine Schnarchgrenzen mehr; Heinrich lässt seiner Kreativität freien Lauf. Von wegen, geschnarcht wird nur in Rückenlage! Letztens ist Ella aufgeschreckt, weil sie dachte, der Staubsauger hätte sich am Kissen festgesaugt!

Zweifellos die häufigsten Variationen sind jedoch diese:

Variation Rückenlage: Typ Motorsäge mit kaputtem Anlasser; das Finale beschert das Geräusch einer umkrachenden Fichte – jedoch nie auf Heinrich persönlich.

 Variation Seitenlage: Erst leises, dann lautes Pusten, untermalt von hoffnungsvollen Aussetzern, beendet von Grunzlauten. Gefühlt befindet sich Ella dann inmitten einer Rotte von Wildschweinen, während im Hintergrund schon wieder jemand die olle Säge anschmeißen will.

Möglichkeiten, das Schnarchen zu unterbinden: Keine.

Versuche: Hunderte.

Dazu gehören:

Den Arm aus Versehen hinüberfallen lassen auf den Gatten. Sowas kann passieren, ist aber einfach zu ungenau.

Wäscheklammer auf die Nase setzen. Totaler Blödsinn; der Schnarch sitzt im Rachen und kämpft so stark dagegen an, dass die Klammer im hohen Bogen von der Nase fliegt und den Dackel, der am Fußende des Bettes liegt, erschlägt.

Aus dem Bett schubsen. Geht nicht, Heinrichs Körper liegt wie festgetackert in seiner Betthälfte und springt bei jeglichen Roll- und Schubsversuchen schwungvoll wieder zurück in die Ausgangslage.

Ins Gästezimmer umziehen. Da nun im Schnarchgemach mehr leerer Raum zur Verfügung steht, vervielfacht sich das Dröhnen so stark, dass Ella das Gefühl hat, in einer riesigen, leeren Kirche zu stehen, in der der Organist gerade sein Instrument stimmt. Die Vibrationen des Echos schlagen Wellen bis ins Gästebett.

Gegenstörgeräusche entwickeln: Hat letztens Feuerwehr und SEK auf den Plan gerufen, während Heinrich seelenruhig weiterschnarchte.

Inzwischen ist Ella so übermüdet, dass sie Abend für Abend auf einen komatösen Schlaf hofft. Bis sie zu träumen beginnt. Von Heinrich, der sich eine Motorsäge gekauft hat.

(c) Marlene Liebschenk

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