Donnerstag, 28. Januar 2021

Lebensgeschichten - Als meine Mutter plötzlich nicht mehr ins Pflegeheim durfte

Heute möchte ich euch die Geschichte meiner Mutter erzählen, die sie aufgeschrieben hat, als Corona plötzlich ihr Leben auf den Kopf gestellt hat.





Im November 2019 ist mein 80-jähriger Mann in einem DRK-Pflegeheim aufgenommen worden. Ich habe ihn jahrelang selbst gepflegt, bis ich physisch und psychisch nicht mehr dazu in der Lage war. Er hatte vor Jahren einen Herzinfarkt, dazu folgten Hüft-OP, Prostata-OP, Orbitalboden-OP nach Sturz, einige leichte Schlaganfälle, immer wiederkehrendes Vorhofflimmern, Demenz, viele Stürze auf Grund seiner Bewegungseinschränkungen, Störung des Tag- und Nachtrhythmus, Rollstuhl.

Im Pflegeheim wurde er sehr liebevoll aufgenommen, für mich war es äußerst emotional. Ich wollte ihn nie ins Pflegeheim geben und doch schaffe ich es nicht mehr, war überfordert, der Schlaf fehlte. Mein schlechtes Gewissen plagt mich, obwohl jeder sagt: „Es ist richtig so.“ Ich weiß es auch, aber …

Die Ärzte raten mir schon im Sommer zu diesem Schritt, aber ich will es schaffen, alleine. Und allein war ich in jeder Beziehung – keine Hilfe!

Ich besuche ihn täglich im Heim. Anfangs will er immer nach Hause, die Eingewöhnungszeit dauert. Eine Pflegerin fragt, ob es ihm hier nicht gefalle und er antwortet: „Doch.“ Und strahlt sie an. Für mich ein Glücksgefühl und Hoffnungsschimmer. Es wird schon werden.

Langsam gewöhne auch ich mich an die Atmosphäre im Heim und fühle mich wohl. Alle Bewohner sind demenzkrank und ich lerne die verschiedenen Formen und Entwicklungsstufen der Demenz kennen. Die Bewohner gewöhnen sich auch mehr oder weniger an mich, bin ich doch täglich dort. Eine Bewohnerin kann noch sehr gut und sehr schnell gehen, spricht aber nicht. Als sie mich nach einigen Wochen anlächelt, ist es ein Glücksgefühl für mich. Irgendwann im Winter kommt sie mir im Flur entgegen. Ich nehme mit meinen eiskalten Händen ihr Hände und sie sagt: „Das gibt’s doch nicht!“ Was für eine wundervolle Reaktion. Sie spricht! Später guckt sie zu uns ins Zimmer rein, sieht mich an und ich sage: „Meine Hände sind wieder warm.“, sie antwortet: „Dann ist gut.“ Es sind solche kleinen Momente, die glücklich machen.

Die Meisten auf der Wohnebene kennen meinen Namen - die Pflegekräfte sowieso - weil mein Mann mich sehr oft ruft, hauptsächlich nachts, wenn er wieder mal gestürzt ist. Er vermisst mich. Ich vermisse ihn auch und doch ist es die beste Lösung so. Er wird gut versorgt und es ist immer sofort Hilfe da. Er braucht oft Hilfe.

Ja, und dann kommt der 13. März und ich stehe vor verschlossener Tür. Corona! Besuchsverbot bis auf Weiteres! Damals ging man noch von zwei bis drei Wochen aus, aber weit gefehlt. Jetzt im Juni ist es immer noch so, allerdings mit leichten Lockerungen. Mein Mann versteht nicht, warum ich jetzt nicht mehr komme, nicht mehr kommen darf. Immer wieder Erklärungen. Wie soll er es auch verstehen, man versteht es ja selbst kaum. Die Pflegebedürftigen haben ja keinen Bezug dazu. Sie erleben nicht das Tragen des Mundschutzes in Geschäften, Bussen usw., das Abstandhalten, dass man sich mit Mitgliedern verschiedener Haushalte nicht treffen darf und all diese bekannten Maßnahmen. Ich bin froh, dass wir noch telefonieren können, wenn es auch nur fünf Minuten sind, weil er dann überfordert ist und schlafen will. Aber wir hören uns! Oft muss das Pflegepersonal helfen, wenn er es wieder einmal nicht geschafft hat, den Hörer aufzulegen. Zum Glück ist es ein altes Telefon mit Hörer, denn mit einem Modernen würde er gar nicht mehr zurechtkommen. Er selbst ruft keinen an, er schafft es nicht mehr, kennt auch unsere Telefonnummer nicht mehr.

Nach acht endlos erscheinenden Wochen darf ich ihn am Zaun des Heimes besuchen. Er sitzt im Garten, ich stehe auf dem Parkplatz, zwei Meter Entfernung. Was in dem Moment gefühlsmäßig in mir vorgeht, kann ich kaum beschreiben. Meine Tränen fließen. Er versteht nicht, warum ich nicht reinkomme. „Das Tor ist verschlossen! Gleich holen sie dich, dann gehen wir in mein Zimmer.“ Sie holen mich nicht - ich weiß es! Es sind die Vorschriften, die richtig sind, die ich total verstehe, weil diese Personen im Heim eine Vorgeschichte haben, weil sie gesundheitlich besonders gefährdet sind, und doch: Es ist so schwer - für beide Seiten! „Wann kommst du wieder?“, ich weiß es nicht. „Hol mich heim!“, es geht nicht. Es tut so weh. Das schlechte Gewissen meldet sich wieder.

Eine gute Woche später dürfen wir uns im Heim wiedersehen, in einem speziell eingerichteten Besucherzimmer, an einem zwei Meter langen Tisch, mittendrin eine Plexiglasscheibe, eine Pflegekraft als Aufsicht dabei. Vorher Hände desinfizieren, Mundschutz, Zettel ausfüllen, dass ich keinen Kontakt zu COVID-19-Patienten hatte und gesund bin. Für 30 Minuten dürfen wir uns sehen. Für ihn reicht es. Nach 30 Minuten baut er ab und ist nicht mehr aufnahmefähig. Ich soll mit in sein Zimmer kommen - wieder Erklärungen. Er wird mit dem Rollstuhl weggefahren, ich darf ihn nicht umarmen. Er will ein Abschiedsküsschen. Wir dürfen nicht. Wie soll er das alles verstehen?! Es tut richtig weh. Aber: Ich darf ihn weiterhin besuchen, immer nach Terminvergabe, immer für 30 Minuten und immer mit den gleichen Vorsichtsmaßnahmen. Ich hoffe so sehr, dass diese schlimme Corona-Zeit, die mir ewig in Erinnerung bleiben wird, bald vorbei ist, dass alles wieder normal wird, dass ich meinen Mann wie anfangs regelmäßig besuche, ihn in den Arm nehmen kann, und dass ich auch die anderen Heimbewohner wiedersehe.

Ein großes Lob und Dankeschön gebührt allen Mitarbeitern des Pflegeheimes. Sie kümmern sich aufopferungsvoll und liebevoll um alle Bewohner. Sie müssen so vieles auffangen, erklären, trösten. Kein leichter Job, zu „normalen“ Zeiten nicht und jetzt erst recht nicht.




Mittwoch, 27. Januar 2021

Buchvorstellung: Der Mann, der zu spät kam: Der letzte Vorhang

Das Buch "Der Mann, der zu spät kam: Der letzte Vorhang" habe ich wirklich mit Genuss gelesen. Es handelt sich um einen Thriller aus der Feder von J. M. Holland, den ich in einer Autorengruppe kennen- und schätzen gelernt habe.

Hollands Schreibstil ist klar, sehr gut lesbar und nach meiner Meinung fast perfekt. Jedes Wort gehört an seinen Platz, in jedem Satz steckt eine Aussage. Beim Lesen war ich vom ersten bis zum letzten Wort ganz nah am Geschehen. 

Zum Inhalt:

Mitten in der Vorstellung in einem alten Berliner Theater wird ein Schauspieler erschossen. Kommissar Nicke muss diesen vertrackten Fall, bei dem es keine Augenzeugen und keinerlei Hinweise gibt, aufklären.

Der Taxifahrer Barnie, der noch immer von seiner aktiven Theaterzeit träumt und das Theater so gut kennt wie kaum ein anderer, darf seinem alten Freund Nicke helfen, den Mord aufzuklären. Doch beide behalten zunächst einige Informationen für sich. Hat Barnie womöglich den mutmaßlichen Mörder als Fahrgast zum Theater transportiert, ohne es zu wissen? 

Das Finale dieses Thrillers, der ohne Brutalität und Blutvergießen auskommt, ist überraschend. Ich als Leserin habe die ganze Zeit Hinweise bekommen, aber durch den geschickt geknüpften Handlungsablauf falsch interpretiert. So mag ich das! Es gibt in einem Krimi oder Thriller, bei dem der Täter gesucht wird, ja nichts Schlimmeres, als wenn man in der Mitte der Geschichte schon weiß, wer es ist. Trotzdem möchte man natürlich seinen Teil zur Lösung des Falles beitragen und ahnen, dass man schon ganz dicht dran ist! Das ist dem Autor hier wirklich gut gelungen - das "Ach!" am Ende war ein großes "Ach!".

Beim Lesen wurde deutlich, wie gut sich der Autor in der Theaterwelt auskennt. Beinahe habe ich die Bühnenbretter knarren und die Vorhänge rascheln gehört. Ich wurde hier sehr gut mitgenommen und im Theater herumgeführt, auch hinter der Bühne. Das Berliner Viertel, in dem das Theater steht, wurde mir im Laufe der Geschichte ebenfalls sehr vertraut. 

Dazu muss ich sagen, dass ich noch nicht viele Romane gelesen habe, in dem das "Berlinern" so natürlich und echt wiedergegeben wurde wie hier. Mir sind schon mehrere Geschichten untergekommen, in denen der Dialekt total übertrieben oder einfach falsch aufgeschrieben wurde. Dialekt in Schriftform ist natürlich schwierig und nicht jeder, der darüber schreibt, ist auch ein waschechter Berliner, Kölner oder Ostfriese. Aber wenn man Mundart schreibt, sollte man entweder den Dialekt selbst beherrschen (so wie hier) oder sich jemanden suchen, der das auch in Schriftform kann. Das ist natürlich nur meine Meinung, aber mich persönlich schreckt es ab, wenn ein Dialekt - egal welcher - falsch wiedergegeben wird.

Fazit: Handlungsaufbau, Flair, Figuren, Spannung und Schreibstil haben mich vollends überzeugt.



Schreibroutine finden

Jetzt schreibe ich schon so lange, aber eine richtige Schreibroutine hatte ich noch nie. Zumindest bis vor ein paar Wochen. Ich hatte weder ...